Satchmo spielt für alle | Forum (2025)

Sein Trompetenspiel machte ihn zu einem der bekanntesten und beliebtesten Entertainer des 20. Jahrhunderts: Louis Armstrong. Vor 100 Jahren erschienen seine ersten Plattenaufnahmen, mit denen er die Jazzmusik revolutionierte. Hoch geehrt starb „Satchmo“ 1971 in New York City.

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Aus bitterer Armut heraus hat er seinen Weg gemacht: Louis Armstrong wird am 4. August 1901 in New Orleans im US-Bundesstaat Louisiana geboren. Da Mary Albert noch ein Teenager ist und William Armstrong die mittellose Familie kurz nach Louis’ Geburt im Stich lässt, kümmert sich die Großmutter um den Jungen, der erst mit fünf Jahren zu seiner Mutter zurückkehrt. Er wächst auf in dem rauen Viertel „The Battleground“, wo ihn die Fisk School for Boys für schwarze Kinder aufnimmt. Nebenher verdient er sich etwas Geld durch Gelegenheitsarbeiten für eine arme jüdische Einwanderer­familie namens Karnoffsky, die ihn fast wie ihr eigenes Kind behandelt. Morris Karnoffsky gewährt Louis sogar einen Vorschuss für den Kauf eines Kornetts in einem Pfandhaus. Aus Dankbarkeit trägt dieser für den Rest seines Lebens einen Davidstern-Anhänger.

Das Spielen erlernt Louis autodidaktisch, indem er Profis wie Bunk Johnson zuschaut. Mit seinem trompetenähnlichen Blechblasinstrument tritt Arm­strong regelmäßig neben dem Trödelwagen der Karnoffskys auf, um Kunden anzulocken. Einer seiner Spitznamen, die sich oft auf seinen großen Mund beziehen, lautet „Satchelmouth“. Er wird später zu „Satchmo“ verkürzt.

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Der Teenager lebt abwechselnd bei seiner Mutter, seinem Vater oder im Colored Waif’s Home for Boys. Der Musiklehrer des Heims lässt das 13-jährige Talent erstmals eine Band leiten. Zwischenzeitlich versucht Louis sich erfolglos als Zuhälter einer Prostituierten namens Nootsy, erkennt aber rechtzeitig, dass Musik für ihn der Ausweg aus einem Leben in Hunger und Armut sein könnte. Deshalb arbeitet er weiter intensiv an seinen Fähigkeiten und erlernt unter anderem das Lesen von Noten. Armstrong wird Mitglied der New Orleans Band von Fate Marable und spielt mit ihr ab 1918 auf verschiedenen Mississippi-Dampfern.

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Bis ihn der bekannte Kornettist Joe „King“ Oliver schließlich nach Chicago holt, die damalige Hauptstadt des Jazz. Dort entwickelt Armstrong in den „Roaring Twenties“ sein einzigartiges Improvisationstalent. Er wird zu einem der ersten Jazzer, die ausgedehnte Trompetensoli spielen. Eine Revolution, denn bis dahin wurde Jazz in stark orchestrierten Arrangements oder Dixieland-Gruppen dargeboten. Erstmals als Solist zu hören ist Armstrong auf der am 5. und 6. April 1923 in Richmond im US-Bundesstaat Indiana entstandenen Aufnahme „Chimes Blues“ als Mitglied von King Oliver’s Creole Jazz Band.

Jährlich bis zu 300 Konzerte

Der „Chimes Blues“ stellt alle früheren Jazzplatten in den Schatten. Nach etwa zwei Dritteln des Stückes legt Louis Armstrong, offiziell nur der zweiteKornettist der Gruppe, mit einem imposanten, 24 Takte kurzen Solo los. Es ist eine Art Vorahnung auf eines der größten Genies der amerikanischen Musikgeschichte, und in den nächsten Jahren wird der Blechbläser fast im Alleingang den Jazz verändern. Sein lautes Solo ist viel zu schnell vorbei, als Armstrong wieder im Ensemble verschwindet und der Song zu einem schönen, leichten Ende rollt. Mit dabei ist auch die Pianistin Lil Hardin, bald die zweite Ehefrau Armstrongs und die erste berühmte Instrumentalistin des Jazz. „You heard the future“, merkt Kritiker Gary Giddins zu Armstrongs Darbietung an.

Der „Chimes Blues“ gilt heute als das erste mustergültige Dokument des New Orleans Jazz. Die Musik der afroamerikanischen Pioniere dieser Musik ist bis dahin nur sehr selten aufgenommen worden, außerhalb der Jazz-Metropole Chicago bevorzugen die Plattenfirmen eher weiße Bands. Der Titel erscheint im Sommer 1923 als 10-Inch-Schellackplatte (mit „Froggie Moore“ auf der B-Seite) ohne Nennung von Louis Armstrong bei Gennett Records und entwickelt sich zum Jazz-Standard. Armstrong beginnt bei seinen gefeierten Auftritten auch zu singen, indem er laufend die Melodie verändert und den Text mit eigenen Ideen anreichert. Seine Innovation ist heute Standard in der Popmusik.

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Der vielseitige Musiker wechselt schließlich zur härter klingenden Trompete und fängt an, auf der Bühne Witze zu erzählen, Sketche aufzuführen und aktuelle Hits zu covern. Viele Aufnahmen machen seine Frau Lil und er mit Quintett- und Septett-Formationen. Und er schreibt eigene Stücke wie 1927 das richtungsweisende „Potato Head Blues“, laut dem Kritiker Thomas Ward „eine der erstaunlichsten Errungenschaften in der gesamten Musik des 20. Jahrhunderts.“

Rauszugehen und zu spielen wird zu seinem Lebensziel, denn Louis Arm­strong erträgt es nicht, untätig auf dem Sofa herumzuhocken. Seine jährlich bis zu 300 Konzerte mit der Weltklasse-Band The All Stars versetzen ihn auch in den 1940er- und 1950er-Jahren noch in die Lage, kraftvoll und intensiv zu spielen. Er selbst – aber auch die Kritik – findet, dass er in seinen Fünfzigern besser Trompete spiele und singe als je zuvor. Dank seines rauen und kehligen Scat-Gesangs, den er seit seinem Hit „Heebie Jeebie“ (1926) immer mehr perfektioniert, steigt er zur weltweiten Stimme des Jazz auf. Seine improvisatorische Ausdrucksweise ist von einem orthodox jüdischen Gesangsstil während des Gebets abgeleitet.

17 Konzertein der DDR

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1958 stellen sich Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und ein Studio-Orchester unter der Leitung von Russ Garcia einer ganz besonderen Herausforderung. Sie verjazzen Ira Gershwins Oper „Porgy & Bess“ über das Leben von Afroamerikanern. Armstrongs und Fitzgeralds wunderschön nuancierte Version von „Summertime“ soll dem Komponisten die Tränen in die Augen getrieben haben. Fitzgeralds Lesung des Textes von „It Ain’t Necessarily So“ ist herrlich schlüpfrig und ein großartiger Kontrast zu Armstrongs majestätischer Trompete und geradem Gesang. Zu seinem erfolgreichsten Album wird jedoch die Musical-Aufnahme „Hello, Dolly!“ 1964.

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Er lässt Einflüsse wie Blues, lateinamerikanische Volkslieder, klassische Sinfonien und Opern in seine Auftritte einfließen, manchmal zur Verwirrung der Fans. Mit modernen Jazz-Strömungen aber kann der ältere Louis Armstrong nur wenig anfangen – Bebop nennt er „chinesische Musik“. Charlie Parker und Miles Davis hingegen betrachten ihren neuartigen Sound als abstrakte Kunst und tun Armstrongs unterhaltende Musik als unmodern ab. Sie werfen ihm auch vor, sich nicht für die schwarze Bürgerrechtsbewegung zu engagieren. Diese Art von Kritik hält „Satchmo“ jedoch nicht davon ab, sein Publikum in der ganzen Welt mit virtuosem Trompetenspiel und großen formalen Innovationen zu unterhalten. Zwischen 1936 und 1969 wirkt er sogar in zahlreichen Hollywood-Produktionen – und einigen deutschen Unterhaltungsfilmen – mit.

Herzinfarktim Schlaf

Trotz Rassentrennung im eigenen Land schicken die USA den Afroamerikaner als Kulturbotschafter des Jazz und „musikalischen Mobilmacher“ regelmäßig in die weite Welt hinaus. Mit den All Stars spielt Louis Armstrong 1965 sogar 17 Konzerte in den größten Hallen der DDR – als erster US-Entertainer überhaupt. Die ostdeutsche Künstleragentur hat ihn als „Kämpfer gegen den Rassismus“ eingeladen, was sein Roadmanager Frenchy wie folgt kommentiert: „Herr Armstrong bläst seine Trompete für Schwarze und Weiße, Juden, Araber, Katholiken. Wenn es sein muss, auch für Pinguine am Südpol“. Die Säle zwischen Berlin, Leipzig und Erfurt kochen bei seinen Shows.

Von einem US-Journalisten wird er gefragt, ob er glaube, dass Hot Jazz den „Kalten Krieg“ beenden werde. „Nun, ich kenne mich mit Politik nicht aus“, lautet seine Antwort, „aber ich weiß, dass Hot Jazz für viele Fans, die sich nicht so sehr dafür interessieren, eine ganze Menge bewirken kann. Wenn man es den Leuten überlassen würde, die mit der Musik friedlich sind, gäbe es keine Kriege. Es gäbe keine. Das kommt von Leuten, die sich wahrscheinlich nicht so sehr für Jazz interessieren, aber ich meine, Musik hat viel für Freundschaften und so getan.“
Am 6. Juli 1971 stirbt Louis Armstrong in New York City im Schlaf an einem Herzinfarkt. Bis zum letzten Tag ist der Weltstar ein bodenständiger Mensch geblieben, der im Arbeiterstadtteil Queens in einem bescheidenen Haus lebte und sich beim Frisur um die Ecke die grauen Haare schneiden ließ. Er hinterließ zwölf Songs in der Grammy Hall of Fame und vier Exfrauen, aber keine Kinder.

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